Petronella
1707 Beiträge | 25 Juni 2020 - 10:57
Dieser Beitrag wurde von Petronella am 25 Juni 2020 - 10:59 bearbeitet
Guten Morgen, ihr Lieben.
Das mit den Alten empfinde ich als sehr komplexes Thema.
Anders als wir hat die Generation meiner Mutter oft keinen virtuellen Ausweichlebensraum - es gibt immer Ausnahmen - und der Druck der Vereinsamung ist da oft ein ganz anderer.
Bei meiner Mutter ist ein völlig wirrer Sicherheitsplan aktiv - sie hat Angst bei jedem Einkauf, wollte auch lange am liebsten gar nicht vor die Tür, obwohl wir ihr erklärt haben, dass an der Luft die Gefahr gering ist.
Die Einkaufsangst hat sie immer noch, aber sie geht, seit es wieder erlaubt ist, so oft es geht auswärts essen, "um die Lokale zu unterstützen" - und hat auch immer wieder beruflich bedingt Leute (Berater, Fürsorge etc) im Haus gehabt. (Ich glaube aber, dass ihr das Kochen einfach zu schwer fällt, sie hat Arthrose bis in die Daumen)
Meinen Bruder aber wollte sie zu Besuch nicht haben, weil der ja was mitbringen könnte (er ist näher dran als ich und hatte angeboten ein paar Tage nach ihr zu sehen) als es wieder erlaubt war.
Sie leidet unter der Situation, auch, weil sie ihren ExPartner in seinem Pflegeheim nicht besuchen durfte. Wir Kinder sind beide in drei bzw. vierstelliger Entfernung von ihr weg und hätten ja lange auch gar nicht reisen dürfen.
Ich hätte es auch nicht wollen, bei ihr gab es viel mehr Fälle als bei uns und mein Ehedings ist auch nicht der Jüngste und - wenn auch knapp - in der Risikogruppe.
Dennoch finde ich den allgemeinen "Wegen euch machen wir das alles" Vorwurf, der seit Beginn der Pandemie häufig zu lesen war, wenn jemand Älteres es gewagt hat einen - nach Einschätzung der Kommentierenden - überflüssigen Weg in die Aussenwelt zu tun, bedenklich.
Ja, viele Alte verhalten sich unvernünftig. Und trotz aller Berichterstattung (die vielleicht an ihnen vorbei geht, weil sie Medien anders kommunizieren als wir) begreifen viele nicht wirklich, was da vor sich geht.
Ob uns das einleuchtet oder nicht.
Es ist eine Situation, die wir bisher so nicht erlebt haben und die Bewältigungsmechanismen sind da sehr unterschiedlich und oft auch sehr seltsam. Das ist, denke ich, auch normal in Krisensituationen - es verändert unser Denken und führt zu absonderlichen Handlungen.
Meine Mutter ist da für mich der beste Testkandidat - sie hat vieles verstanden und reagierte überängstlich zu Beginn - aber die blinden Flecken, die sie hat bleiben blinde Flecken.
Die Frage ist dann: decke ich die auf und mache ihr noch mehr Angst und sie verkümmert total zuhause?
Es ist eine lange Zeit und für die Alten, die eben nicht irgendwann zur Arbeit müssen und so wieder in Kontakt kommen, muss sie noch länger sein.
Ich finde all die Maßnahmen sinnvoll und habe oft gedacht, dass zu lange und dann auch wieder zu früh auf den gesunden Menschenverstand vertraut wurde - vielleicht auch, um nicht als unterdrückender Staat dazustehen.
Das Ergebnis können wir jetzt wunderbar bestaunen.
Ich tue mich schwer, da zu einem Schluss zu kommen. Wir haben hier sehr sehr klein gelebt und tun das auch noch - wir halten die Abstände ein und bewegen uns so wenig wie möglich von Zuhause weg, die App haben wir auch beide schon installiert.
Aber so einfach, wie es auf dem Papier aussieht, ist es eben nicht...